von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war drei Wochen in Nepal, um das Projekt in Myagdi und im nördlichen Teil von Lower Mustang zu prüfen. Sie hat die Klimaschädlichkeit ihres Fluges über eine Klimaabgabe an www.atmosfair.de gemildert und die Reisekosten gespendet.
Myagdi ist ein großer Bezirk im Vorgebirge (bis ca. 2500 m)
Reisterrassen, Bambus und Rhododendronwälder prägen die Hänge mit mehreren Ernten pro Jahr. Wir haben in Mygdi seit 2007 ca. 250 Wasserbüffel vergeben. Sie fressen viel und machen daher mehr Arbeit, ermöglichen aber auch ein deutlich höheres Einkommen als eine Kuh oder ein Nak; nur ist es unmöglich, sie in den höher gelegenen trockenen Regionen zu ernähren. In Myagdi leben fast nur Hindus, die Kultur unterscheidet sich sehr vom buddhistischen Norden. Viele Männer (vereinzelt auch allein erziehende Mütter) gehen für Jahre nach Indien, Malaysia und in die Arabischen Emirate, um dort zu arbeiten. Vor allem die männliche Jugend strebt dorthin. Allerdings finanzieren viele Männer die Reisekosten auf Kredit; etliche nun alleinerziehende Mütter haben ihre Männer in den Emiraten bei Unfällen verloren. Aus Indien kommen sie häufiger krank zurück und sterben trotz hoher Investitionen in ihre Gesundheit.
Die Witwen, wie die 50jährige Gori S., müssen diese Schulden abtragen. Gori musste über 1000 Dollar (1 Dollar = 96 Rupien) zurückzahlen, sie hat damals alle Tiere und fast alle Felder verkauft. Sie und ihr inzwischen 14jähriger Sohn lebten von Tagelöhnerarbeiten. Erst mit dem Wasserbüffel, den sie vor 3 Jahren erhielt, konnte sie sich wieder eine Existenz aufbauen.
Für allein erziehende Mütter sind durch den Mangel an Arbeitskräften die Tagelöhnersätze seit 2007 um mehr als das Doppelte gestiegen; allerdings ist die Arbeit sehr hart, vor allem auf dem Bau sehr ungesund fürs Skelett. Die meisten Mütter, die einen Wasserbüffel bekommen haben, machen nur noch gelegentlich oder gar nicht mehr Tagelöhnerarbeit auf den Feldern (200, teilw. 300 Rupien pro Tag), geschweige Arbeit auf dem Bau. Sie investieren ihre Zeit lieber rund um den Wasserbüffel: Futter holen (die Wasserbüffelkuh gibt dann mehr Milch, als wenn sie zum Grasen über die Hänge läuft), Ghee (Butterschmalz) herstellen, Felder pachten und Reis, Mais, Hirse, Gemüse und Kartoffeln selbst anbauen. Nicht alle, aber viele Mütter ernten dank des Dungs und der zusätzlichen Felder genug fürs ganze Jahr.
Die 44jährige Puna K.M. aus Pataleket hat sogar Land gekauft! Die Mutter eines inzwischen 12jährigen Sohnes ist seit 9 Jahren (ohne Versorgung) geschieden. Ihre Eltern gaben ihr ein kleines Haus, aber sie hatte kein Land. Sie arbeitete als Tagelöhnerin. Vor 6 Jahren erhielt sie einen Wasserbüffel, verkaufte inzwischen zwei männliche Kälber und sparte einen Teil ihres
Einkommens in einem Sparklub (15000 Rupien). Vor 1½ Jahren gaben ihre Eltern ihr dann noch einen kleinen Zuschuss, und sie konnte ein Feld kaufen, dessen Ernte für 5-6 Monate reicht. In diesem Frühjahr baute sie Mais an und nutzte die Stauden gleichzeitig für Stangenbohnen, im Sommer säte sie auf derselben Fläche Hirse, so dass sie drei wichtige Ernten hat. Die Milch teilt sie mit den Eltern, die ihr dafür Hirse geben, um Rakshi für den Verkauf zu produzieren. – Sparklubs haben in Nepal kein gutes Image, aber in Myagdi nutzen viele Mütter sie gern: ca. 20-30 Frauen aus einem Dorf sparen gemeinsam einen festen Betrag wöchentlich oder monatlich; jede bekommt von Zeit zu Zeit einen größeren Betrag ausbezahlt. Wer einen Kredit im Sparklub nimmt, zahlt für 20.000 Rupien Kredit 400 Rupien Zinsen pro Monat (auf dem normalen Markt: 1000 Rupien Zinsenpro Monat).
Witwe Yamaha G. sparte mit dem Wasserbüffel 20.000 Rupien und verleiht sie auf dem normalen Markt, die oben erwähnte Gori S. sparte und verleiht die gleiche Summe im Sparklub. Dass allein erziehende Mütter Erspartes gegen Zins verleihen, ist – in unserem Projekt – ebenso neu wie Punas Landkauf.
Anders als in den Nordregionen (Butter für gesalzenen Tee) produzieren die Mütter in Myagdi vor allem Ghee als Ersatz für Öl; das spart ca. 1400 Rupien im Monat. Viele Mütter verkaufen auch Ghee, um zu sparen oder Kleidung, Seife etc. zu kaufen. 1 l Ghee kostet 1000 Rupien. Die 39jährige Witwe Kumari P. verdient pro Monat ca. 5500 Rupien mit dem Verkauf von Ghee und etwas Milch. Hinzu kommt das hohe Einkommen durch Wasserbüffelnachwuchs. Mehrere Mütter, die den Wasserbüffel 2007 bekommen haben, verdienten inzwischen 30-40.000 Rupien durch den Verkauf von männlichen Kälbern; meist wird dieses Geld für Kleidung und Ausbildung verwandt.
Das meiste Glück und Geschick hatte die 35jährige Kishna K.: Sie hat schon 3 männliche Kälber für insgesamt 30000 Rupien verkauft, ihr Kishna K. mit ihrem Sohn und ihren vier Wasserbüffeln. Sie ist Spitzenreiterin in Bezug auf Kälber! Wasserbüffel hat wieder ein männliches Kalb, und ein weibliches Kalb hat inzwischen ein weiteres weibliches Kalb geboren. Kishnas Mann hat sie vor 13 Jahren verlassen, als sie schwanger war. Ihr Sohn ist inzwischen im 9. Schuljahr.
Fast alle Mütter behalten die weiblichen Kälber, es sei denn, sie sind in einer akuten Notlage (Hepatitis oder eine andere schwere Krankheit) oder sie müssen regelmäßig hohes Schulgeld aufbringen.
Die 51jährige Shunmaja P., eine Witwe mit drei Kindern, finanziert ihrer Tochter z.B. eine Krankenschwesternausbildung in Pokhara, was über 3 Jahre 95000 Rupien pro Jahr kostet. Sie hat allein mit dem Verkauf von drei Kälbern schon 32.000 Rupien erzielt. Wenn sie das Kalb zweijährig verkaufte, wäre der Gewinn doppelt so hoch, aber viele Mütter brauchen das Geld dringend.
Mehrere Mütter, wie Puspa P., finanzieren ihren Töchtern eine Schulausbildung bis 15. Klasse (dem Abitur entsprechend), damit kann man in Unternehmen, Banken, Tourismus etc. gute Anstellungen bekommen.
Die ca. 80jährige Großmutter Vishnu M.G. aus Jhi lässt ihre Enkelin die 12. Klasse beenden, weil sie Lehrerin für Primarstufe werden will. Der Enkelsohn dagegen hat nach der 10. Klasse aufgehört und betreibt die Landwirtschaft, die genug Ernte fürs ganze Jahr erbringt. Inzwischen managen die Kinder den Wasserbüffelund das weibliche Kalb. Aber die Großmutter hat bei Entscheidungen ein gewichtiges Wort. Der Vater war vor 7 Jahren gestorben, die Mutter schon bei der Geburt der Tochter.
Zwei Mütter haben ein Haus gebaut, eine davon ist Pudro K. (Postkarte), die weit oberhalb von Dana wohnt. Ihre beiden Kinder gehen inzwischen in die 4. bzw. 5. Klasse. Sie verkauft kein Gras mehr (Tagesverdienst war ca. 1 E), sondern sie hat Land gepachtet, verkauft nach wie vor Milch und hat im Sparklub über 40000 Rupien gespart und dort einen Kredit aufgenommen. Für ihr gemauertes Haus mit Wellblechdach muss sie nur noch 7 Monate Raten zahlen.
Noch weiter oben im Hang wohnt Pulmaya P., eine 40jährige Mutter von zwei hochintelligenten Söhnen (beide haben mehrere Klassen übersprungen), die den Wasserbüffel ebenfalls 2007 erhielt.Sie sparte im Sparklub 60000 Rupien an und baute dann mit Hilfe von Verwandten ein viel kleineres Haus als Pudro mit Strohdach,
Holzbalken, ein wenig Stein und Lehm. Sie wollte keinen Kredit aufnehmen. Das Land erhielten beide Frauen von Verwandten, nachdem sie eine große Summe gespart hatten. Sie wohnen jetzt viel weiter oben im Hang als früher, aber weiter unten zum Dorf hin würde niemand Land zur Verfügung stellen.
Muna J., die 2008 sagte, sie wolle ihr männliches Kalb verkaufen, um ein bhatti(Garküche) zu bauen, hat seit ca. 3 Jahren ihr bhatti mit kleinem Laden in gemeinsamer Eigentümerschaft mit ihren Eltern. Muna hat 60000 Rupien zum Bau beigesteuert (ca. 50000 aus dem Verkauf von Kälbern), aber der größere Teil kam von ihren Eltern. Zum erfolgreichen Betrieb trägt allerdings Muna sehr viel bei, denn ihre Wasserbüffel
liefern die Milch und das Ghee fürs Restaurant und die Familie und – dank Dung und Munas gepachteten Feldern – auch die Kartoffeln und das
Gemüse, so dass die Kosten für die Bewirtung sehr niedrig sind. Muna erntet so viel, dass sie sogar Gemüse und Kartoffeln verkauft. Munas kleine Tochter, die das Kalb so liebte, will bis Klasse 15 zur Schule gehen, wenn möglich Ärztin werden.
Mehr als diese faszinierenden Erfolgsgeschichten haben mich aber Mütter wie diese berührt: Die 41jährige Zokmaja P. wurde mit ihren beiden Kindern (damals 5 bzw. 6 Jahre alt) vor 6 Jahren ohne jede Versorgung verlassen. Zokmaja arbeitete als Tagelöhnerin, bis sie so schwer stürzte, dass sie 6 Monate nicht gehen konnte. Sie wusste nicht Ein noch Aus. Wie sollte sie sich und ihre Kinder ernähren? Dann erhielt sie den Wasserbüffel; Nachbarn und die Kinder sammelten das Futter und verkauften Ghee, und so trug der Wasserbüffel die Familie über die Zeit der Krankheit. Inzwischen hat Zokmaja Felder gepachtet, sie hat Kälber verkauft und die Familie kann gut leben. Aber das Wichtigste ist ihr nicht das Wohlleben heute, sondern die Sicherheit, dass sie im Krankheitsfall den Wasserbüffel als Puffer zwischen sich und dem Nichts hat. – Die heute 43jährigeTagelöhnerin Jomana P. und ihre zwei Töchter wurden von ihrem Mann verlassen, als Jomana schwere Herzkrankheit und Arbeitsunfähigkeit diagnostiziert wurde. Ihre Eltern nahmen sie auf, waren aber finanziell durch die hohen Kosten allzu belastet. Vor 5 Jahren erhielt Jomana den Wasserbüffel; mit dem Einkommen kann sie alle Gesundheitskosten und den Unterhalt für sich und die Töchter bestreiten: Sie könne jetzt wieder in Würde leben.
Nach dem Besuch in Myagdi habe ich mir noch die zwei Prototypen für Gewächshäuser an der Grenze zu Upper Mustang angesehen, um zu prüfen, ob sie richtig gebaut sind – bevor im Frühjahr viele gebaut werden. Die beiden Mütter hatten in ihrer Begeisterung die Gewächshäuser schon mit diversem Gemüse bepflanzt (ziehen sie selbst aus Samen!), aber der Boden war noch nicht ausgehoben. Das machen sie jetzt nach der ersten Ernte; damit bekommt das Gewächshaus mehr Bodenwärme und mehr Höhe (zu niedrig gebaut). Ausserdem sollen beidseits der Tür Blumen, Stangenbohnen etc. gesät werden, um Bestäuber ins Gewächshaus zu locken.
Im August-September hat Sahayog Himalaya-Nepal wieder ein Hebammentraining durchgeführt, dieses Mal für 17 Frauen aus Mugu und Humla (sehr entlegene und strukturschwache Regionen im Westen, ca. doppelt so groß wie Niedersachsen). Die Frauen haben ihre Familien und Felder z.T. für 6 Wochen verlassen, um an dem Kurs teilzunehmen (bis zu 10 Tage zu Fuß bis zum nächsten Flughafen, Simikot bzw. Basura, dann Flug nach Nepalgunj und Busreise nach Kathmandu). Ein Mann aus der Region wurde eigens für einen Monat angestellt, um sicherzustellen, dass alle Frauen rechtzeitig ihren Flughafen erreichen. Die Hälfte der Frauen hatte überraschenderweise das jüngste Kind (6 Monate – 2ó Jahre) mitgebracht, die während des Kurses betreut wurden. Die Professorin war sehr begeistert von dieser Gruppe, die ein höheres Bildungsniveau als frühere Gruppen hatte (einige hatten sogar 15. Schuljahr) und bei den Tests vor, während und am Ende des Kurses deutlich besser abschnitt als frühere Gruppen. Diesmal wurden auch das Schließen eines Dammrisses gelehrt und Nothilfe-Maßnahmen, wenn das Kind im Geburtskanal stecken bleibt. Der Hebammenkoffer wurde noch besser ausgestattet. Der Theorieteil war für alle gleichzeitig; im Kreissaal waren sie in kleine Gruppen auf verschiedene Geb.rstühle aufgeteilt. Alle Teilnehmerinnen und Kinder sind heil wieder in ihre Dörfer zurückgekehrt.