von Stefanie Christmann
Die Vorsitzende der Esel-Initiative, Stefanie Christmann, war knapp 6 Wochen in Nepal, um das Projekt in Dolpa zu prüfen. Um die Klimaschädlichkeit des Fluges abzumildern, wurde eine Klimaabgabe an www.atmosfair.de gezahlt. Sie hat die Reisekosten gespendet.
Dolpa ist flächenmäßig einer der größten Distrikte Nepals,
aber nur 35.000 Menschen leben dort (westlich des Dhaulagiri, direkt an Tibet grenzend). Die Dörfer sind durch viele hohe Pässe (oft mehr als 5000 m) und Flüsse ohne Brücke voneinander getrennt. Manchmal läuft man mehrere Tage ohne ein Dorf oder auch nur einen Menschen zu sehen. Ich habe über eine Woche gebraucht, um überhaupt in den Distrikt Dolpa zu gelangen.
Nima S., eine 37 Jahre alte Witwe aus Tinjegaon, die allein für ihren Sohn sorgt und Leiterin der Müttergruppe ist, sagte: „Es sind viele Organisationen hier gewesen und haben Hilfe für uns in den Dörfern versprochen. Aber jetzt haben wir erstmals Hilfe erhalten. Sechs Wochen, nachdem die Frauen ausgewählt wurden, bekamen wir die Naks!“
Unser Kooperationspartner Sahayog Himalaya-Nepal (SHN) hat Erstaunliches geleistet: Es gibt in der Region keine Banken. Nur in wenigen Orten gibt es überhaupt ein Telefon. SHN hat Saput Sherchan und einige andere beherzte und zuverlässige Männer trainiert, mit Zelt, Schlafsack und Jacke ausgestattet und für Monate nach Dolpa geschickt.
Da die Dörfer im Norden meist auf 3.500 bis 4.300 m Höhe liegen, sind Naks die besten Tiere für die Vergabe, Kühe sind qualitativ keine Alternative. Aber Naks leben in Herden auf Hochweiden, d.h. in der dünnbesiedelten Region müssen Müttergruppen gebildet werden. SHN hat jeweils alle alleinerziehenden Mütter aus verschiedenen Dorfteilen, die z.T. einen Tagesmarsch auseinander liegen, zu solchen Gruppen zusammengeführt und mit ihnen Regelungen zur Haltung der Tiere vereinbart: Die Mütter hüten die Naks in einem Rotationssystem selbst. Alles Einkommen von den Naks (Butter, Schurpi/Hartkäse aus Buttermilch, Wolle) und ihren Nachkommen werden geteilt – genauso wie alle Risiken.
Auf diese Weise konnte z.B. auch die 55jährige Großmutter Pema G. aus Simegaon ein Nak erhalten. Sie sorgt allein für ihren kleinen Enkel, ist aber zu gebrechlich für Hütedienste auf Hochweiden oder Tagelöhnerarbeit. Sie lebt vom Weben und Spinnen. Die anderen Frauen der Gruppe hüten für sie mit – und Pema erhält den gleichen Anteil Butter, Schurpi und in vier Jahren auch Geld, wenn die ersten erwachsenen männlichen Kälber für den Handel mit Tibet vermietet werden. Ein Yak im Tibethandel bringt 1.000 Rupien pro Tag, mehr als 6 Tagelöhnerverdienste.
Auch die 30jährige Oser D. aus Saldang, die allein für ihre 5jährige Tochter sorgt und ohne Dach über dem Kopf dasteht, wenn ihr Bruder heiratet, konnte so ein Nak bekommen. Sie kann in einigen Jahren weder Hütedienste noch Tagelöhnerarbeiten leisten, weil sie unaufhaltsam erblindet. Auch falls ein Nak oder ein Kalb von Wölfen, Bären oder Schneeleoparden gerissen wird, bleibt die Mutter in der Gruppe, sie wird weiter Hütedienste machen und bekommt den gleichen Anteil. Die Mütter der Gruppe sichern sich so gegenseitig ab.
Ob ein Kalb verkauft wird, entscheidet die Gruppe.
Alle Gruppen wollten aber die Kälber behalten und so die Herde aufstocken. 1 kg Nakbutter bringt 600 Rupien (6 €), 1 kg Schurpi 150 Rupien und jedes Kalb erweitert die Einkommenschancen. Naks werden mit 4 Jahren erstmals tragend (bis 24), Yaks arbeiten ab 4 Jahren.
Das Einkommen aus dem Verkauf von Butter und Schurpi wird nur für die Mutter und ihre Kinder verwandt, d.h. für Schule, warme Kinderkleidung, besseres Essen oder evtl. später eine eigene Unterkunft. Jede Gruppe hat eine Gruppenleiterin, die gemeinsam mit dem Lehrer sicherstellt, dass alle Töchter und Söhne zur Schule gehen. Viele Kinder selbst im Alter von 10 oder 12 waren nie in der Schule und wurden bzw. werden jetzt eingeschult.
Im Norden Dolpas gibt es noch Polyandrie.
Viele Männer sind zudem durch den Tibethandel fern der Dörfer, nur wenige Frauen können heiraten. Die Männer in Dolpa trinken sehr viel Alkohol. Laut Saput sind in Dolpa Frauen häuslicher Gewalt sehr ausgesetzt. Viele unverheiratete Mütter sind sehr jung, ohne jeden Besitz oder Sicherheit. Sie machen alle schwere Feldarbeit, holen Holz und arbeiten auf den Baustellen.
Chörtel G. aus Charka, seit 7 Jahren geschieden, sammelt sogar Ziegenperlen, um sie gegen Essen zu tauschen, eine äußerst mühselige Arbeit. Ich habe noch in keiner Himalajaregion so viele Mütter getroffen, die Kinder aus Armut ins Kloster oder sehr jung zur Arbeit weggegeben haben: weil sie nicht alle ernähren konnten.
Lamu G. beispielsweise, eine unverheiratete 40jährige Mutter von drei Kindern aus Tinjegaon, hat ihre älteste Tochter mit 12 Jahren aus dem Haus in einen fremden Haushalt geschickt. Das Mädchen muss Tiere hüten, Holz sammeln (Schwerstarbeit) und Feldarbeit machen. Dafür bekommt sie einen Schlafplatz, Essen, Kleidung und pro Jahr ca. 45 kg Gerste für die Mutter.
Lamu erklärte, sie hätte anders die kleinen Kinder nicht am Leben halten können. Lamu wohnt mit den Kleinen auf 8 qm, sie hat kein eigenes Land. Sie hat ein Kartoffelfeld gepachtet, muss aber die Hälfte der Ernte an den Besitzer abgeben. In guten Jahren reichen die Kartoffeln für drei Monate. Die Familie lebt meist von Gerstensuppe.
Sehr schwierig ist es für die Witwen. Manche erben zwar ein Haus und etwas Land, dessen Ernte für einige Monate reicht. Aber sie brauchen für die Beerdigung des Mannes u.a. sehr viel Tsampa (d.h. Gerste und Butter).
Phonso G. aus Charka etwa hat 30.000 Rupien Schulden, die sie nur in Tagelöhnerarbeit (100-150 Rupien pro Tag) zurückzahlen kann. Doch jeder Tagelöhnerjob ohne Entlohnung ist ein verlorener Tag für die Ernährung der Familie. Ihre vier kleinen Felder reichen nur für fünf Monate. Sie muss wie viele Mütter im Winter Essen leihen.
Das Engagement mancher Frauen hat mich ungemein beeindruckt: Pema G., eine 39jährige unverheiratete Mutter von fünf Kindern unter elf Jahren, hat sich selbst ein kleines Haus gebaut. Um das Holz zu bezahlen (muss im Norden Dolpas mit Yaks aus Tibet geholt werden) hat sie Yarsangumba (seltener Pilz, der von Chinesen aufgekauft wird) gesammelt.
Sie hat fünf Felder gepachtet (die Hälfte der Ernte ist Pachtabgabe), so braucht sie acht Monate weder Gerste noch Kartoffeln zu kaufen. Ihre Tagelöhnerarbeit in der Zeit bringt zusätzliche Nahrung für die Kinder.
Auch die Gruppenleiterinnen sind alle beeindruckend. Die meisten haben sich schon vorher sozial für Frauen eingesetzt. Sie sollen im Januar am nächsten Hebammentraining in Kathmandu teilnehmen und danach ein Pferd bekommen. Leider haben wir in den bisherigen Projektdörfern in Dolpa nur eine Frau gefunden, die in der Schule war. Auch sie wird den Hebammenkurs besuchen. Alle anderen Teilnehmerinnen aus Dolpa sind leider Analphabetinnen.
Es gibt kaum Gesundheitsstationen in Dolpa, und sie sind nur im Sommer besetzt.
Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind erschreckend: In Simegaon werden 9-10 Kinder pro Jahr geboren, dabei sterben 1-2 Mütter. In Tinjegaon kommen bei 20 Geburten pro Jahr 10 Säuglinge entweder tot zur Welt oder sterben kurz nach der Geburt. Viele Mütter überleben die Geburt, sterben aber danach an Infektionen.
Einige Teilnehmerinnen des ersten Kurses hatten vorher schon als Hebamme fungiert, aber sie hatten noch nie professionelle Geburtshilfe auch nur gesehen. Die Ärztin, die die Trainings leitet, erklärte, dass viele vorher nicht wussten, wie man den Bauch einer Schwangeren abtastet, um die Lage des Säuglings festzustellen, sie konnten den Herzschlag des ungeborenen Kindes nicht hören, sie wussten nicht, wie man Puls misst, den Geburtstermin errechnet, ein sauberes Geburtsumfeld schafft, sie wussten nichts über Atmung während der Geburt, wie man sauber abnabelt, wie man den Säugling nach der Geburt zum Atmen bringt, wie wichtig es ist, dass die Nachgeburt vollständig ausgestoßen wird, dass Nachsorgebesuche unverzichtbar sind etc.
All das ist Stoff des Kurses. Die Frauen können danach keine Geburt mit Steißlage etc. betreuen, aber sie können das Infektionsrisiko während und nach der Geburt stark reduzieren, durch Untersuchungen vor und nach der Geburt die Überlebenschancen für Mutter und Kind deutlich verbessern und Frauen mit absehbar schwerer Geburt rechtzeitig in eine Gesundheitsstation bringen (sofern besetzt). Alle erhalten einen Alu-Koffer mit Hörrohr, Desinfektionsmittel, sterilen Handschuhen, Schere, etc., den sie in den Gesundheitsstationen auffüllen können.
Ich habe zwei Hebammen des ersten Kurses getroffen,
die 27jährige Sunita T. aus Dana (Myagdi) und 32jährige Pema B. aus Tsarang (Upper Mustang); Pema hat einen strammen 4-Tages-Ritt gemacht, um uns zu berichten. Beide sind verheiratet, Sunita hat 2 Kinder. Sie hatte schon seit Jahren „Hebammenkurse“ in Gesundheitsstationen besucht, die aber nichts über Geburtshilfe lehrten, sondern nur über Säuglingspflege, Impfungen etc. Sie hatte sich deshalb vor dem Kurs auch nur um Säuglingsimpfungen gekümmert. Sunita hat kein Pferd erhalten, weil sie nur in Dana arbeiten wird. Von dort kann sie Frauen mit absehbaren Problemgeburten mit einem Auto in ein Krankenhaus bringen lassen.
Am ersten Hebammenkurs haben auf Wunsch der Distrikte auch Frauen teilgenommen, die jetzt für ein größeres Dorf mit mehr Geburten als in den kleinen Dörfern zuständig sind – aber kein Pferd benötigen. 9 Frauen aus Upper Mustang, 7 aus der Hochgebirgsregion am Manaslu, 3 aus Manang, 1 aus Lower Mustang und 2 aus Myagdi haben das Training erhalten; 11 haben danach – wie Pema – ein Pferd bekommen.
Pema ist in Upper Mustang für Tsarang und Marang zuständig und will, wenn nötig, auch bis Dakmar reiten. Pema ist kinderlos. Sie hatte sich bereits zuvor für Frauen in Tsarang engagiert und wollte schon als Kind Hebamme werden. Der Kurs war ihre Chance. Sie ist fasziniert von ihrer neuen ehrenamtlichen Arbeit (Hebammen werden nicht bezahlt).
Sie führt Buch über alle Besonderheiten während der Schwangerschaften und Geburten. Sie hat inzwischen zwei Geburten in Marang und drei in Tsarang betreut. Zwei Babies atmeten nicht von selbst. Eine Geburt entwickelte sich als sehr schwer und langwierig. Pema konnte alle Schwierigkeiten bewältigen. Schwangere mit absehbar schwerer Geburt will sie mit dem Pferd ins Krankenhaus nach Gami bringen, dafür muss sie über den Choya Pass (3870 m).
Beide Hebammen berichteten, dass die Schwangeren sehr froh sind, nun eine Hebamme mit mehr Kenntnissen zu haben, und dass sie jetzt nach Anweisung bereitwillig alles für eine sterile Hausgeburt vorbereiten. SHN will erst weiter Kurse zur Grundausbildung von Hebammen aus verschiedenen Regionen durchführen und evtl. danach die Begabtesten weiterbilden lassen.